2021-05-12 09:30:00 - Zivilrecht: „Abzug neu für alt“

Zivilrecht: „Abzug neu für alt“
12.05.2021

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht Andreas Mohr

 

Frage: Bei Renovierungsarbeiten in unserem Haus haben Handwerker versehentlich die Wand beschädigt, sodass diese neu tapeziert und gestrichen werden muss. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers will jedoch nur einen Teil der Kosten erstatten und beruft sich auf einen „Abzug neu für alt“. Worum handelt es sich hierbei und ist das zulässig?

 

 

Antwort: Im deutschen Schadensrecht gilt zunächst der Grundsatz der Naturalrestitution. Das bedeutet, dass der Schädiger den Zustand wiederherstellen muss, der vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat, § 249 Abs. 1 BGB; wobei der Geschädigte, etwa bei der Beschädigung von Sachen, statt der Wiederherstellung den hierfür erforderlichen Geldbetrag verlangen kann. Aus dem Grundsatz der Naturalrestitution folgt ein weiterer Grundsatz des deutschen Schadensrechts: das Bereicherungsverbot. Der Geschädigte soll durch das schädigende Ereignis nämlich auch nicht bessergestellt werden, als er ohne das Schadensereignis stehen würde.

 

Bezogen auf die Beschädigung von Sachen ist es so, dass in den allermeisten Fällen keine neuen Sachen beschädigt werden, sondern gebrauchte. Die Wiederherstellung durch Wiederbeschaffung oder Reparatur kann daher dazu führen, dass der Geschädigte danach eine Sache besitzt, die sich in einem besseren oder jedenfalls höherwertigeren Zustand befindet als vor dem Schadensereignis; er mithin also einen gewissen (geldwerten) Vorteil erlangt. Dies ist der Fall, wenn z.B. ein neuwertiges Ersatzteil eingebaut wurde, welches die Lebensdauer des Gegenstandes erhöht. Da der Geschädigte aber nur so gestellt werden soll, wie er ohne das Schadenereignis stand, muss er sich diesen Vorteil in bestimmten Fällen anrechnen lassen. Bei dem sog. „Abzug neu für alt“ wird der zu erstattende Schadensersatzbetrag gekürzt. Der Abzug setzt jedoch voraus, dass beim Geschädigten durch die Ersatzleistung eine messbare Vermögensmehrung eintritt, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt. Zudem muss der Ausgleich für den Geschädigten auch zumutbar sein.

 

Auf Ihren Fall bezogen wäre nun zunächst zu prüfen, ob Sie denn in absehbarer Zeit ohnehin hätten tapezieren und streichen müssen. Durch die Beseitigung der Schäden durch den Schädiger würde Ihnen dann möglicherweise tatsächlich ein geldwerter Vorteil entstehen, da die nächste Renovierung zeitlich entsprechend nach hinten geschoben würde. Sie stünden dann durch das Schadensereignis insoweit besser da als ohne. Wurde die Wand aber gerade erst neu gestrichen, wird man einen solchen Vorteil und damit auch einen „Abzug neu für alt“ wohl verneinen müssen.

 

Sofern ein Abzug vorzunehmen ist, bezieht sich dieser im Übrigen nicht nur auf die Material-, sondern regelmäßig auch auf die Lohnkosten.

 

 

Tipp: Der sog. Abzug „neu für alt“ führt regelmäßig zu Streit. Bei nicht nur geringfügigen Abzügen kann es sinnvoll sein, überprüfen zu lassen, ob und vor allem in welcher Höhe ein solcher Abzug überhaupt zulässig ist. Einen pauschalen „Abzug neu für alt“ gibt es jedenfalls nicht. Maßgeblich sind – wie so oft – stets die konkreten Umstände des Einzelfalls.